Alpencross 2010 Reisebericht
[Reisebericht] [YouTube-Video]Die Idee
Als leidenschaftlicher Mountainbiker war es irgendwann unausweichlich: Ich musste einen Alpencross machen. 2010 sollte es endlich so weit sein. Die Idee entstand gemeinsam mit einem guten Freund – in einer dieser Phasen, in denen einem der Alltag einfach zu viel wird. Zu viel Stress, zu viel Routine, zu wenig Sinn. Was hilft da besser als ein richtiges Projekt? Eines, das einen fordert, motiviert und aus dem Trott reißt. Also: Rucksack statt Schreibtisch, Trails statt Termindruck. Leider kam es anders als geplant – mein Mitfahrer musste kurzfristig abspringen. Ich haderte kurz. Doch dann war klar: Lieber alleine fahren als gar nicht! Und so stand ich plötzlich allein mit meinem Vorhaben da – mit einer gehörigen Portion Respekt, aber auch mit dem festen Willen, es durchzuziehen.
Ich hatte bis dahin noch keinen Alpencross gemacht, wollte aber unbedingt meine eigene Route entwickeln – keine geführte Tour, keine Standardlinie. Das machte die Planung nicht gerade leichter. Zum Glück war ich schon seit meiner Kindheit regelmäßig in den Bergen unterwegs. Ich kenne die alpine Welt, bin trittsicher und seit vielen Jahren mit dem (meist ungefederten) MTB auf anspruchsvollen Gebirgstrails unterwegs. Als ich dann auch noch ein Freeride-Fully in die Finger bekam, war klar: Jetzt oder nie. Nur die Ausdauer war noch eine kleine Schwachstelle – aber irgendwie würde das schon gehen.
Jeder, der sich ein bisschen mit Alpencross beschäftigt hat, weiß: Transalp ist nicht gleich Transalp. Manche fahren mit dem Trekkingrad auf der Via Claudia Augusta, andere schummeln sich mit Bahn oder Bus durch schwierige Etappen oder rasen mit Shuttle-Unterstützung über Flowtrails. Und das ist auch völlig okay. Jeder sollte seine Transalp so machen, wie es ihm taugt. Meine Ziele waren klar gesteckt:
- Kein Shuttle, kein Lift, kein Bus – Fortbewegung nur aus eigener Kraft.
- Eine landschaftlich reizvolle Hochgebirgsroute.
- Technisch anspruchsvolle Trails – gern auch mit Schiebepassagen.
- So wenig Asphalt wie möglich, vor allem bergab.
- Kein Wettbewerb, keine Zeiten – einfach biken, frei und flexibel.
- Sieben Tage sollte die Tour ungefähr dauern.
Besonders wichtig war mir, statt auf endlosen Schotterwegen und Straßen den Berg hinunterzuheizen, Singletrails abzufahren, die viel Fahrtechnik und Geschick erfordern. Ich wollte mich auf die hochalpine Natur und Bergwelt konzentrieren, unbeeinflusst von Sportlern, die es eilig haben oder sich etwas beweisen müssen. Mein Routenverlauf würde entsprechend flexibel und individuell bleiben. Deshalb hatte ich keine Übernachtungen reserviert. Außerdem hatte ich mir in den Kopf gesetzt, im Freien zu übernachten. Diese zusätzliche Erschwernis konnte ich vorab noch gar nicht richtig einschätzen.
Was ich vermeiden wollte: kilometerlange Schotterabfahrten, die das Hirn auf Stand-by schalten. Ich wollte konzentriertes, aktives Fahren – auf alpinen Singletrails, umgeben von Fels, Schnee und Weitblick. Keine Hektik, kein Ego-Getöse. Stattdessen Fokus auf die Berge, auf das eigene Tempo, auf die Freiheit. Deshalb gab’s auch keine reservierten Unterkünfte – ich wollte spontan bleiben. Und: Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, draußen zu schlafen. Ob das klug war, wusste ich da noch nicht.
Die Ausrüstung
Wer sich allein auf eine Trail-Transalp mit Übernachtungen im Freien einlässt, muss seine Ausrüstung sehr genau durchdenken. Alles, was nicht zwingend gebraucht wird, bleibt zu Hause. Alles, was mitkommt, will über die Berge getragen werden – jeder Gramm zählt. In meinem Fall bedeutete das: Schlafsack, Isomatte, Biwaksack, Regenschutz – alles musste mit. Auch Proviant für Notfälle, damit ich am Morgen nicht mit leerem Magen in den Tag starten musste. Ich hatte mir dafür ein eigenes Müsliriegelrezept überlegt – schnell gemacht, nahrhaft, robust. Die Kehrseite: Das alles macht den Rucksack spürbar schwerer. Mehr als sechs Kilogramm sollten es nicht sein, sonst macht das Trailfahren keinen Spaß mehr. Ich musste also beim restlichen Gepäck ordentlich abspecken – minimalistisch leben auf maximalem Anspruch.
Und natürlich braucht man für so ein Vorhaben das richtige Bike. Ich wollte auf keinen Fall lange Schiebepassagen bergab in Kauf nehmen, nur weil das Material nicht mithält. Im Herbst 2009 legte ich mir daher ein Lapierre Zesty 514 zu – ein vollgefedertes, solides All-Mountain-Bike. Genau richtig für die Kombination aus alpinem Gelände und Trail-Spaß.

Die Route
Eine passende Route zu finden, die sowohl fahrtechnisch als auch konditionell zu mir passt, war fast die größte Herausforderung. Ich holte mir ein paar Anregungen aus Transalp-Guides und Internetforen – aber im Grunde habe ich alles selbst geplant. Ich wollte kein Schema F, sondern eine Strecke, die zu mir passt. Im Herbst 2009 begann ich mit der Grobplanung. Startpunkt: Füssen – unter anderem, weil ich Schloss Neuschwanstein noch nie gesehen hatte. Ziel: der Gardasee, mit seinen legendären Trails und dem Versprechen von Pizza, See und Freizeit. Für den Alpenhauptkamm hatte ich ein ganz besonderes Highlight im Auge: das Niederjoch. Hochalpin, aussichtsreich – und ein echtes Statement auf der Landkarte meiner ersten Transalp.

Die Route beginnt in Hohenschwangau auf rund 800 Hm, vorbei am Schloss Neuschwanstein. Sie führt über den 1425 m hohen Sattel des Ochesenälpele und dann hinunter zum Plansee. Durch das Tal kommt man über Heiterwang, Bichlbach, Lähn, Lermoos und Ehrwald, dann Richtung Westen zum Blindsee.
Von Fernstein folgt man dem Gurgltal nach Tarrenz. Nächster Halt Bernnbichl, dann parallel zur Tiroler Bundesstraße bis Mairhof. Nun zweigt man ab über Sautens ins Ötztal und fährt parallel zur stark befahrenen Bundesstraße über Oetz, Habichen, Tumpen, Unterlängenfeld, und Huben nach Süden.
In Sölden nimmt man am besten die Gondel hinauf nach Hochsölden. Von dort aus steigt man auf zur Rotkogeljochhütte. Ein Weg führt von hier hinunter zum Ötztaler Gletscher. Man mündet in die Ötztaler Gletscherstraße und folgt dieser bis hoch auf 2750 Hm, und dann durch den Gletschertunnel bis zum Tiefenbachferner. Ich befinde mich nun auf dem Alpenhauptkamm! Hier geht ein anspruchsvoller Trail hinunter nach Vent.
Gleich nach Vent geht es wieder bergauf am Niederjochbach entlang bis zur Martin-Busch-Hütte und schließlich zur Similaunhütte, mit über 3000 Hm der höchste Punkt der Tour. Dies ist der schwierigste Teil der Transalp. Ein schwieriger Pfad mündet bald in einen anspruchsvollen Trail, der zum Lago di Vernago führt. Der Alpenhauptkamm ist überwunden! Es geht durch das Schnalstal hinunter bis Juval, wo Reinhold Messner in seinem Schlösschen residiert. Bis Kastelbell fährt man parallel zur Bundesstraße, bevor es über Tarsch (700 Hm) wieder steil bergauf geht.
Auf 2520 Hm erreicht man das Tarscher Joch. Danach führt ein Trail bergab ins Tal bis St. Moritz, von wo aus man in das Ultental abzweigt und einem leicht abfallenden Weg bis St. Gertraud folgt. Nun gilt es, das Rabbijoch auf knapp 2500 Hm zu bezwingen. Der folgende Downhill Trail mündet in Piazzola (Rabbi). Die Route schlängelt sich weiter entlang der Bundesstraße nach Osten Richtung Malé, und dann Richtung Südwesten.
Von Dimaro aus geht es auf fahrtechnisch unspektakulärer Route südwärts durch das Meledrio Tal bis Madonna di Campiglio. Man kann hier dem Dolomiti di Brenta Bike Trail bis Tione folgen.
Der Abzweig in das Val Guidicarie Inferiore bei Tione bringt mich bis Cimego. Eine steiler Weg zweigt ab in die Berge und führt über den wenig bekannten Passo di Rango auf ca. 1400 Hm, von wo aus es hinab nach Tiarno di Sopra geht (750 Hm). Der nächste Pass folgt sogleich: Eine steile asphaltierte Passstraße endet auf den Monte Tremalzo auf 1660 Metern Höhe. Die letzte Tour ist Genuss pur. Ein perfekter Downhill-Trail bringt mich über Pregasina bis zum Gardasee.

Gesamtstrecke: 395 km
Gesamtanstieg: 14.100 Hm
Bei sieben Tagesetappen hatte ich mit durchschnittlich rund 2.000 Höhenmetern und etwa 55 Kilometern pro Tag zu rechnen – durchaus sportlich, vor allem mit schwerem Rucksack und auf technisch anspruchsvollen Trails. Die Route, die ich mir zusammengestellt hatte, war alles andere als gemütlich – sie war fordernd, abwechslungsreich und mit einigen echten Brocken gespickt. Drei Übergänge stechen dabei besonders hervor: das Niederjoch (Similaun), das Tarscher Joch und das Rabbijoch. Allesamt hochalpin, einsam – und stellenweise nur zu Fuß zu bewältigen. Dort war klar: Es würde nicht nur ums Fahren gehen. Schieben, tragen, schnaufen – echte Bergarbeit eben. Doch genau das suchte ich. Ich wollte nicht durch die Alpen cruisen, ich wollte sie spüren.
Die Rückreise
ür die Rückreise hatte ich mir eine Bahnfahrt vorgenommen – zurück von Rovereto, dem nächstgelegenen Bahnhof am nördlichen Gardasee, bis nach München. Das Schöne: Seit 2010 gibt es direkte Verbindungen mit Fahrradmitnahme, zum Beispiel den Eurocity EC 86 oder EC 88. Weniger schön: Die Zahl der Fahrradstellplätze ist stark begrenzt. In dem Jahr waren es sage und schreibe zwei pro Zug. Zwei! Wer also während der Alpencross-Hochsaison (also zwischen Juli und September) plant, mit dem Zug zurückzufahren, sollte unbedingt frühzeitig reservieren – am besten mindestens zwei Wochen im Voraus. Spontanität endet hier sonst schnell auf dem Bahnsteig.
Kartenmaterial
Hier eine Liste der Kompass Wanderkarten, die man für die Route benötigt:
- 4 Füssen, Außerfern 1:50.000
Art.-Nr. 06 01900400
ISBN 978-3-85491-006-0 - 35 Imst, Telfs, Kühtai, Mieminger Kette 1:50.000
Art.-Nr. 06 01903500
ISBN 978-3-85491-039-8 - 43 Ötztaler Alpen, Ötztal, Pitztal 1:50.000
Art.-Nr. 06 01904300
ISBN 978-3-85491-049-7 - 52 Vinschgau/Val Venosta 1:50.000
Art.-Nr. 06 01905200
ISBN 978-3-85491-058-9 - 072 Nationalpark Stilfser Joch/Parco Nazionale dello Stelvio 1:50.000
Art.-Nr. 06 01900720
ISBN 978-3-85491-391-7 - 73 Dolomiti di Brenta 1:50.000
Art.-Nr. 06 01907300
ISBN 978-3-85491-082-4 - 071 Alpi di Ledro, Valli Giudicarie 1:50.000
Art.-Nr. 06 01900710
ISBN 978-3-85491-560-7