Alpencross 2012 Reisebericht
[Reisebericht] [YouTube-Video]Die Idee
Nach den Erfahrungen des Alpencross 2011 hatte ich mir fest vorgenommen, es diesmal etwas cleverer anzugehen. Die Lehren aus zu knappen Zeitplänen und endlosen Schiebeaktionen waren noch frisch. 2012 sollte der Fokus auf einer besseren Etappentaktung liegen – insbesondere bei schweren Anstiegen. Lieber einen kompletten Tag für ein fieses Hochgebirgsstück einplanen, als später hektisch die Stirnlampe rauskramen müssen. Wenn’s sein muss, darf’s bergauf auch mal Asphalt sein – Hauptsache, der Weg ist effizient. Autoverkehr? Möglichst wenig, bitte. Ich war schließlich nicht auf der Flucht.
Auch dieser Alpencross sollte keine Kaffeefahrt werden. Anspruchsvoll, ja – aber nicht so extrem unausgewogen wie im Vorjahr. Mehr fahrbare Abschnitte standen auf dem Wunschzettel, vor allem für mein neues Zesty 514, das darauf brannte, seine Federwege auszufahren. Das Trailfahren auf S2- bis S3-Niveau blieb für mich das Herzstück einer echten Transalp – technisch, fordernd, aber belohnend. Natürlich bedeutet das in den Alpen meist auch: Wer oben spielen will, muss erst mal hoch. Also war klar, dass ich auch diesmal wieder schieben, tragen und keuchen würde. Gehört dazu. Trotzdem wollte ich nicht jeden zweiten Nachmittag mit dem Bike auf den Schultern in der prallen Sonne stehen. Die Balance musste passen.
Die Berge waren längst mein zweites Wohnzimmer geworden, meine Ausrüstung war inzwischen auf ein solides Minimum optimiert, und der Drang nach alpiner Einsamkeit war ungebrochen. Auch 2012 ging ich wieder solo an den Start – nicht aus Prinzip, sondern weil sich in meinem Bekanntenkreis einfach niemand fand, der freiwillig mit 17 Kilo auf dem Rücken, platten Füßen und müden Waden durch Geröllfelder robbt, um dann auf nassen Wiesen unter einem Tarp zu schlafen. Ich nannte es „Abenteuer“, andere nannten es „geisteskrank“.
Geplant war jedenfalls: möglichst oft draußen übernachten. Ich hatte mir extra ein neues Tarp zugelegt – leicht, kompakt, windresistent. Nach den frustrierenden Versuchen, in Österreich spontan ein Zimmer zu bekommen – man kennt das: „alles ausgebucht“, obwohl das ganze Haus wie ausgestorben wirkt – hatte ich keine Lust mehr auf Bittstellerrollen. Wer sein Bett dabei hat, ist klar im Vorteil.
Die Route
Die Routenplanung begann, wie immer, nur ein paar Wochen nach meiner letzten Tour. Sobald die Schrammen verheilt waren, der Muskelkater nachließ und die Erinnerungen wieder verklärter wurden, juckte es mich in den Fingern. Ich hatte genug Zeit, um Strecke, Höhenprofil, Versorgungspunkte und Wetterlagen zu studieren – und mich mental wie körperlich auf das Extrem-Abenteuer vorzubereiten.
Für 2012 sollte endlich die goldene Mitte gefunden werden: Ein ausgewogener Mix aus fahrbaren Anstiegen und technisch fordernden Trails. Keine reine Schinderei, aber auch kein Spaziergang – ein Wechselspiel aus Flow und Herausforderung. Das Herzstück der Route, der Höhepunkt im wahrsten Sinne, war schnell gesetzt: das Weißseejoch, ein über 3000 Meter hoher Übergang über den Alpenhauptkamm. Die gesamte Streckenführung baute sich quasi um diesen wilden Brocken herum auf.
Während ich 2011 keuchend, fluchend und manchmal auch kriechend über Schotterhänge und Geröllfelder gekämpft hatte, dachte ich mehr als einmal: „Nächstes Jahr machst du’s gemütlich, was zum Genießen!“ Kaum zurück zu Hause, war dieser Vorsatz aber so schnell verflogen wie der Muskelkater. Die Sehnsucht nach dem rauen Hochgebirge war einfach stärker. Wieder raus, wieder rauf.
Bis zum Alpenhauptkamm wollte ich es diesmal etwas ruhiger angehen lassen. Kräfte sparen, keine brutalen Tragepassagen, keine unfahrbaren Wurzelmonster. Mit Hilfe der Kompasskarten hatte ich eine Strecke von Füssen bis ins Kaunertal zusammengestellt, die – zumindest auf dem Papier – angenehm und abwechslungsreich wirkte. Nach der Weißseejoch-Querung würde ich im Vinschgau kurz meine Route von 2011 kreuzen und dann einen Abstecher in die Schweiz machen. Von dort aus sollte es durch die noch unbekannte Lombardei in Richtung Gardasee gehen.
Die Lombardei – komplettes Neuland für mich. Die Karten für Livigno, Edolo und Adamello lagen schnell auf dem Tisch. Leider gibt’s in vielen Tälern dort kaum Alternativen zur Straße, also musste ich ein paar Teerpassagen wohl oder übel in Kauf nehmen. Immerhin versuchte ich, sie so kurz wie möglich zu halten. Schiebepassagen kann ich besser verzeihen als hupende Kleinwagen und stinkende LKWs.
Zum Schluss wartete noch ein besonderer Leckerbissen: ein mir unbekannter Gipfel mit einem vermeintlich direkten Wanderweg hinunter nach Riva. Ob fahrbar oder nicht – das würde ich dann vor Ort herausfinden. Aber allein die Vorstellung, nach all den Strapazen an den Strand zu rollen, die Füße in den Gardasee zu halten, ein kaltes Radler in der Hand und eine ordentlich scharfe Pizza vor der Nase – das war wie immer ein starker innerer Motor. Und der einzige, der nie den Geist aufgibt.

Die Alpenüberquerung beginnt in Füssen. Direkt vorbei am Alpsee führt die Route durch das "Tor der Alpen" in das Tiroler Lechtal. Bei Weißenbach kommt der Abzweig ins Rotlechtal, dann geht es aufwärts am Alpleskopf vorbei zum Sinnesjoch.
Bei Imst wird der Inn überquert und es geht im ersten Teil des Pitztales bergauf. Schon nach kurzer Zeit wird über die Pillerhöhe ins Kaunertal gequert, durch welches es kontinuierlich aufwärts geht bis zum Gepatsch Stausee.
Über Asphaltserpentinen folgt die Kaunertaler Gletscherstraße bis zum Wanderweg-Abzweig. Auf dem sehr steilen und felsigen Pfad geht es weiter bergauf. Nach der Querung des Weißseejoches auf 3000 m erwartet mich der Abstieg in das Langtaufertal. Eine kurze, aber extrem anstrengende Tragepassage.
Durch das Langtauferertal wird bis zum Reschensee ins Vinschgau abgefahren. Von dort führt der Weg weiter bergab. Bei Glurns radelt man in südwestlicher Richtung über die schweizer Grenze nach Müstair. Schon bald zweigt der Wanderweg ab und führt hinauf in das Val Mora.
Vom Val Mora geht es rund 50 km weit auf etwa 2000 m Höhe entlang, vorbei am Lago di San Giacomo und über die Höhe Bocchetta Trelina in das Tal Viola Bormina, und dann links weg zum Passo di Verva. Unten in Grosio angekommen folgt ein lang gezogener Asphaltanstieg bis hoch zum Passo del Mortirolo (eigentlich Passo della Foppa), der als Etappe des Giro d'Italia Bekanntheit erlangt hat. Oben angekommen, folgt man dem Abzweig nach links, um die Asphaltabfahrt zu vermeiden. Der Downhill endet dann in Vezza d'Oglio.
Von Vezza d'Oglio aus folgt man größtenteils auf einem Wanderweg parallel zur Straße bis Édolo, dann über Sónico und Malonno bis Cedegolo. Das Valle di Saviore führt direkt in das Adamello-Massiv hinein. Bald geht es rechts weg zum Lago d'Arno und über den Passo di Campo, der als schwierigster Pass der Heckmair-Route bekannt geworden ist. Ab hier heißt es wieder Bike tragen. Nach dem Pass und einem beschwerlichem Abstieg geht es (leider auf Asphalt) lange bergab bis Pieve di Bono.
Von Pieve di Bono fährt man auf einem Radweg bis Storo. Dann muss man leider auf der Straße ins Valle di Ledro hineinfahren. Bei Bezzecca zweigt man ab in Richtung Lenzumo. Es folgt ein weiterer Anstieg auf den Bocca del Trat auf 1600 m. Dann führt ein Trail über den Sentiero della Pinza hinunter bis Riva del Garda.

Gesamtstrecke: 435 km
Gesamtanstieg: 14.200 Hm
Bei acht Tagesetappen erwarten mich durchschnittlich etwa 1780 Hm und 55 km pro Etappe.
Besonders die Strecke über den Alpenhauptkamm und den Passo di Campo sind nicht zur Nachahmung empfohlen. Es handelt sich größtenteils um lange Tragestrecken im unwegsamen Hochgebirge, die auch für Wanderer schwierig sind.
Die Rückreise
Dieses Jahr transportiert die Bahn wieder Fahrräder. Dafür kommt eine Baustelle am Brenner erschwerend hinzu, die den Zugverkehr in den Sommermonaten stark einschränkt. Dennoch habe ich es geschafft, einen Platz für mich und mein Bike für nur 40 EUR zu reservieren.
Kartenmaterial
Hier eine Liste der Kompass Wanderkarten, die man für die Route benötigt:
- 4 Füssen, Außerfern 1:50.000
Art.-Nr. 06 01900400
ISBN 978-3-85491-006-0 - 24 Lechtaler Alpen, Hornbachkette 1:50.000
Art.-Nr. 06 01902400
ISBN 978-3-85491-025-1 - 43 Ötztaler Alpen, Ötztal, Pitztal 1:50.000
Art.-Nr. 06 01904300
ISBN 978-3-85491-049-7 - 52 Vinschgau/Val Venosta 1:50.000
Art.-Nr. 06 01905200
ISBN 978-3-85491-058-9 - 96 Bormio, Livigno, Valtellina 1:50.000
Art.-Nr. 06 01909600
ISBN 978-3-85026-515-7 - 94 Édolo, Aprica 1:50.000
Art.-Nr. 06 01909400
ISBN 978-3-85491-101-2 - 71 Adamello/La Presanella 1:50.000
Art.-Nr. 06 01907100
ISBN 978-3-85491-080-0 - 071 Alpi di Ledro, Valli Giudicarie 1:50.000
Art.-Nr. 06 01900710
ISBN 978-3-85491-560-7