Alpencross 2012 - Tag 2
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Sinnesjoch - Imst - Wenns - Piller - Kaunertal - Gepatsch-See
Länge: 63 km
Steigung: 1890 Hm
Die Nacht war kühl – knapp 5 Grad zeigte das Thermometer am Morgen –, aber mein neuer Schlafsack machte seinem Namen alle Ehre. Kein Frieren, kein Wachen, einfach nur erholsamer Schlaf unterm Vordach der verlassenen Hütte. Um Punkt sechs war ich abfahrbereit. Heute warteten zwei ernstzunehmende Anstiege: erst auf die Pillerhöhe, dann durchs Kaunertal bis hoch zur Gletscherstraße. Es war an der Zeit, mein Übernachtungs-Equipment wieder in den Rucksack zu zwängen.

Die Abfahrt vom Sinnesjoch hinunter nach Tarrenz war ein echter Knaller. Trotz Nässe, trotz grauer Wolken – der Trail war steinig, wurzlig, felsig, aber durchwegs fahrbar. Technisch, aber nie wirklich gefährlich, irgendwo zwischen S1 und S2. Dazu gab’s immer wieder flowige Abschnitte, die richtig Laune machten. Am Sinnesbrunn, einer kleinen Kapelle am Weg, füllte ich meine Flaschen auf und gönnte mir ein bescheidenes Frühstück. Der gestrige Horroraufstieg war damit offiziell vergeben und vergessen.

Unten in Tarrenz rollte ich auf kleinen Wegen und Nebenstraßen weiter nach Imst. Kurz vor dem Ortskern lockte mich eine Bäckerei – und wer könnte da schon widerstehen? Drei Stück Apfelstrudel wanderten in meinen Rucksack. Österreichisches Kraftfutter deluxe! Oben im Deckelfach fanden sie ihren Platz – gut geschützt, wohlgebettet, bereit, mich später aufzumuntern.

Der Anstieg von Imst über Arzl bis nach Wenns zog sich zwar nur acht Kilometer, aber der Verkehr bremste meine Freude merklich. Kein Ort für Genießer. Doch in Wenns war klar: Jetzt sind die Strudel dran. Sie schmeckten himmlisch – saftig, zimtig, perfekt. Die Wasserflaschen nochmal aufgefüllt, und weiter ging’s, rechts weg in Richtung Piller. Der Verkehr ließ schlagartig nach – offenbar wollten alle geradeaus ins Pitztal weiter.

Hinter Piller wurde es einsam. Nach einem kleinen Weiler namens Fuchsmoos zwängte ich mich an einer größeren Mountainbike-Gruppe vorbei und bog auf einen Wanderpfad ab, der direkt durch das Piller Moor zur Pillerhöhe führt. Die anderen bogen brav auf der Straße ab – gut für mich, denn der Weg durchs Moor war zwar unfahrbar, aber wunderschön. Anfangs noch ein bisschen fahrbar, dann hieß es: Schieben. Der Pfad war nass, sumpfig, steinig – aber ein echtes Naturerlebnis. So muss das sein.

Oben auf der Pillerhöhe (1560 m) erreichte ich den Aussichtspunkt „Gacher Blick“. Der Name ist Programm. Der Blick reichte weit übers Oberinntal – bis nach Fließ, Prutz, Ried. Auch der Abzweig ins Kaunertal war gut zu erkennen. Die Luft war klar wie Glas. Die Kaltfront hatte für Sicht gesorgt – selten so weit geschaut!

Mit ordentlich Tempo sauste ich über die kaum befahrene Hangstraße via Falpaus bis Mairhof. Dahinter bog ich auf den Wallfahrtsweg nach Kaltenbrunn ab – ein schmaler Pfad, der sich durch Wiesen und Wälder ins Kaunertal hineinzieht. Ein richtig schönes Stück Trail, das überraschend gut fahrbar war – zumindest bis zum Schluss.

Dort wurde es etwas ausgesetzt, rechts ging’s tief runter. Ich sah zwar keine Pilgerreste im Abgrund, schob aber trotzdem lieber das letzte Stück. Sicher ist sicher.

An der Wallfahrtskirche Kaltenbrunn – ein mächtiger Bau aus dem Jahr 1592 – gönnte ich mir einen Moment der Andacht (und eine kurze Verschnaufpause). Danach rollte ich weiter auf Asphalt zur Kaunertaler Landstraße bei Nufels. Ab hier ging’s auf einem schönen Radweg weiter bis Feichten. Danach blieben leider noch 2 Kilometer auf der Landstraße bis zur Mautstelle der gebührenpflichtigen Gletscherstraße. Ich versuchte, dem Personal meine Mautgebühr aufzudrängen – wurde aber freundlich abgewiesen: Fahrräder sind frei. Das freut das Budget.

Bald darauf kam sie in Sicht – die gigantische Staumauer des Gepatsch-Stausees. Vier Serpentinen später stand ich oben, begleitet von Sonne, Wind und fantastischem Blick. Links der See, rechts die Straße, hinter mir das weite Tal. Ganz hinten glänzte der Gepatschferner. Alles wirkte irgendwie riesig und still.

Ich folgte der für Autos gesperrten Straße am Westufer des Gepatsch-Stausees – perfekt zum Durchschnaufen. Auf der anderen Seite stürzten wilde Wasser vom Kaunergrat herab.

Nach einigen Kilometern bog ich am Ende des Sees rechts ab auf einen Wanderweg zur Gepatschalpe. Doch der war... sagen wir mal: ambitioniert. Das Gestrüpp war dicht, der Weg kaum sichtbar. Ich kämpfte mich schiebend und tragend voran, der Schweiß tropfte.

Doch bald wurde der Pfad besser und führte in einem letzten, steilen Ruck auf eine kleine Lichtung. Hier war Schluss für heute. Ich packte mein Abendessen aus – Reste vom Mittag und ein letzter Apfelstrudel – und ließ mich in der warmen Abendsonne nieder. Plötzlich trat ein Reh aus dem Wald. Wir starrten uns einen Moment lang an, dann fraß es weiter. Ich auch. In Gedanken plante ich bereits die nächste Etappe: das Weißseejoch, der Übergang über den Alpenhauptkamm.

Unter mächtigen Fichten spannte ich mein Tarp auf. Leicht, robust, zuverlässig – 300 Gramm Schutz vor Wind, Regen und Kälte. Abgespannt mit einer langen Leine, befestigt mit Stöcken und Steinen. Simpel, aber genial. Die Nacht konnte kommen. Ich war bereit.
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