Alpencross 2010 - Tag 7
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Tiarno - Monte Tremalzo - Passo Rochetta - Pregasina - Riva
Länge: 45 km
Steigung: 2050 Hm
Nach einer ausgezeichneten Nacht und einem ausgiebigen Frühstück in der Albergo war ich bereit für den letzten großen Tag meiner Transalp-Reise. Rucksack gepackt, Bike gecheckt – es konnte losgehen. Ziel: RIVA DEL GARDA!!!

Von Tiarno di Sopra geht es ein kurzes Stück die Bundesstraße hinauf bis zum kleinen Weiher Laghetto d’Ampola. Direkt vor dem See zweigt links ein unscheinbarer Pfad ab – er führt auf die legendäre Passstraße zum Monte Tremalzo. Und dann beginnt der Schweiß: Rund 8 Kilometer lang zieht sich die Asphaltstraße in zahllosen Serpentinen den Hang hinauf – bis zum Rifugio Garda. Zum Glück ist die Straße fast verkehrsfrei, denn sie endet oben. Hinter dem Rifugio geht’s auf grobem Schotter weiter – die alte Militärstraße steigt noch etwa einen Kilometer an, führt durch einen kurzen, dunklen Felsentunnel – und danach beginnt der flowige Teil: In weiten Serpentinen geht es mit angenehmem Gefälle hinunter zum Passo Nota.

Die Landschaft ist atemberaubend – sofern der Tremalzo sich nicht gerade in dichten Wolken versteckt, was leider oft vorkommt. Wer hier allerdings auf einen der „legendären“ Gardasee-Trails hofft, wird sich wundern: Die breite Schotterpiste lässt sich auch mit dem Stadtrad bewältigen. Doch das ändert sich schlagartig hinter dem Passo Nota.

Von hier aus wird’s langsam spannender: Der Weg zum Passo Rochetta verlangt stellenweise etwas mehr Aufmerksamkeit, ist aber noch gut zu bewältigen. Oben angekommen lohnt es sich, kurz anzuhalten – der Blick auf den See und die Berge ist schlicht überwältigend.
Und dann steht man vor einer wichtigen Entscheidung: Wegweiser nach Pregasina – aber welcher ist der richtige? Nicht in die Falle tappen! Der Weg 422b führt steil über zerstörte Rinnen und loses Geröll – kaum fahrbar. Stattdessen dem Weg 422 folgen, Richtung Bocca da Lé Cima Nodice.
Jetzt wird’s ernst: Der einzige wirklich technische Abschnitt der ganzen Tremalzo-Abfahrt beginnt. Der Trail windet sich in S3-Manier den Berg hinunter – mit engen Kehren, steilen Felsstufen, dicken Wurzeln und losem Gestein. Ein Eldorado für alle geübten Freerider! Bis auf eine extrem verblockte Stelle ist alles fahrbar – sofern man weiß, was man tut.

Irgendwann trifft man auf einen breiten Schotterweg. Wer’s ab hier lieber gemütlich mag, hält sich rechts und rollt direkt nach Pregasina. Wer jedoch Lust auf ein letztes technisches Schmankerl hat, fährt links weiter – und biegt kurz vor Ende rechts auf einen schmalen, heftig abfallenden Trail ab. Auch dieser Pfad hat S3-Niveau, windet sich in engen Serpentinen durch den Hang – ein echtes Highlight für alle, die richtig fahren können.

Nach einem weiteren Kilometer erreicht man Pregasina – ein letzter kurzer Zwischenstopp, bevor es zur finalen Abfahrt geht.
Direkt vor dem Tunnel zweigt rechts die alte Via Ponale ab – heute für Autos gesperrt. Technisch unspektakulär, aber landschaftlich ein Traum! Hoch über dem See zieht sich der breite Weg malerisch durch die Felsen – Kehre um Kehre windet er sich hinunter nach Riva del Garda. Ich genoss diese letzte Abfahrt in vollen Zügen. Der letzte Pass war bezwungen. Der letzte Trail gemeistert. Die letzte Etappe meiner Transalp 2010 – fast vorbei. Aber eben nur fast.

Das Gefühl, den Alpencross geschafft zu haben, ist unbeschreiblich. Die sieben Tage kamen mir vor wie drei Wochen – voller Eindrücke, Anstrengungen, Höhen und Tiefen. Und nun stand ich da – am Lago di Garda, diesem legendären Ziel aller Mountainbiker und Surfer, stinkend, verschwitzt – und überglücklich.
All die Mühen, die quälenden Anstiege, das Schieben und Schleppen meines Bikes, der Hunger, die Unsicherheit, der Frust – sie rückten plötzlich in eine seltsam weiche Ferne. Fast unwirklich erschienen sie mir, beinahe irrsinnig. Aber wenn man schließlich am See steht, die letzte Abfahrt im Rücken, die letzten Höhenmeter bezwungen, dann breitet sich ein Gefühl aus, das irgendwo zwischen stillem Triumph und tiefer innerer Ruhe liegt – und sich kaum in Worte fassen lässt. Ich saß auf einer Bank und ließ den Blick über das Wasser schweifen. Als ich die neugierigen Blicke der Passanten spürte, musste ich grinsen: „Wenn ihr wüsstet, was ich hinter mir habe...“

Glücklicherweise ist meine Alpenüberquerung fast ohne Pannen oder Verletzungen über die Bühne gegangen. Das verdanke ich einer guten Vorbereitung, robuster Ausrüstung – und einer gehörigen Portion Glück. Die einzige sichtbare Spur: eine verbrannte Wade, stiller Zeuge meiner Abfahrt vom Tarscher Joch. Wer sich im Bike-Metier auskennt, darf gern raten, welches Bauteil dafür verantwortlich war – der Kenner weiß Bescheid.
Mein treuer Schwalbe Nobby Nic Evo hat mich über all die Pässe und Trails getragen – zuverlässig, pannensicher, bis zum Schluss. Erst auf den letzten Kilometern zeigten sich erste Auflösungserscheinungen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was ich ihm zugemutet habe.

Nach zwei erholsamen Tagen am Lago war es Zeit, Abschied zu nehmen. Ein letztes Mal packte ich meinen Rucksack und machte mich auf den Weg nach Rovereto. Der Weg dorthin führt über einen sicheren, aber unspektakulären Radweg. Rovereto selbst? Naja. Eher eine Durchgangsstation als ein Ort zum Verweilen. Am Bahnhof traf ich einige andere Alpencrosser, darunter einen gut gelaunten Iren mit Trekkingrad, der mir lachend erzählte, wie ihn bei einer Abfahrt seine eigenen Fahrradpacktaschen überholt hatten. Eine Stunde lang tauschten wir Geschichten und Erfahrungen aus – immer wieder unterbrochen vom tosenden Lärm der Güterzüge, die in kaum einem Meter Abstand an uns vorbeirauschten.

Als der EuroCity nach München endlich einrollte, zeigte sich die bittere Realität: Ich war der Einzige, der einen Fahrradstellplatz reserviert hatte – und der Einzige, der mit Rad in den Zug durfte. Die Bahn hatte 2010 zum ersten Mal eine Direktverbindung Rovereto–München mit Radmitnahme angeboten. Aber im ganzen Zug gab es nur zwei Stellplätze für Fahrräder! Zwei! Am Brenner stand eine ganze Schar frustrierter Biker, denen der Einstieg verweigert wurde. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Bahn beim nächsten Mal etwas praxisnäher plant – und den vielen Alpencrossern eine würdige Heimreise ermöglicht.

In München erwartete mich das Kontrastprogramm: ein ausgewachsenes Unwetter mit Starkregen, Sturm und Gewitter – genau in dem Moment, als ich den Zug verließ. Der Regen kam praktisch mit mir in München an. Ausgerechnet auf den letzten Kilometern, vom Hauptbahnhof bis nach Hause, hätte ich zum ersten Mal auf der gesamten Tour Regenkleidung gebraucht. Ab diesem Tag war der Sommer dann auch vorbei – wochenlang nur noch Schmuddelwetter. Ich hatte schlicht unglaubliches Glück gehabt.
Und so endete meine Transalp – nicht mit einem Knall, sondern mit einem donnernden Gewitter. Aber in mir war es still. Still und zufrieden.