Alpencross 2011 - Tag 6
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Lago di Tovel - Passo Gaiarda - Andalo - Molveno
Länge: 35 km
Steigung: 1500 Hm
Wichtig zu wissen: Im Nationalparkgebiet ist das Mountainbiken nur auf offiziellen Routen erlaubt. Da man aber ohnehin die meiste Zeit schiebt oder trägt, ist das kein allzu großes Problem. Wie großzügig die zwölf aktiven Parkranger im Adamello-Brenta-Gebiet das Thema auslegen, vermag ich nicht zu sagen. Ein einzelner Bikebergsteiger wird hier wohl kaum auffallen – mit einer Gruppe würde ich die Tour allerdings nicht empfehlen.
Am nächsten Morgen war ich früh auf den Beinen und bereits im ersten Licht unterwegs in Richtung Campo Flavona. Während der Trail noch im Schatten lag, leuchteten die Gipfel der Brenta rechts von mir schon in einem hellen Orange.

Allmählich wurde es wärmer. An der Malga Pozzol wurde der Weg steiler, und ich musste das Bike eine ganze Strecke tragen. Am Wegesrand fiel mir plötzlich eine Spur auf, die ich suchend im Blick hatte: ein Abdruck, kaum größer als eine Männerhand – und doch sah er verdächtig nach Bär aus. Vielleicht ein Jungtier? Ich beschloss jedenfalls, fortan möglichst geräuschvoll zu wandern.

Kurz darauf erreichte ich ein weites Hochtal und entdeckte die Malga Flavona. Der Bauer war bereits auf den Beinen – ansonsten war weit und breit kein Mensch zu sehen. Er betrachtete mich mit einer Mischung aus Verwunderung und Wohlwollen und wünschte mir eine gute Weiterreise.

Nach der Malga Flavona folgt ein weiteres, anstrengendes Tragestück, bevor man endlich die Hochebene Campo di Flavona erreicht. Gleich vorweg: Bis zum Passo della Gaiarda ist an Fahren nicht zu denken. Der Boden ist so uneben, dass nur Schieben möglich ist. Die Landschaft entschädigt jedoch: bizarre Felsformationen, die mich irgendwie an die USA erinnerten – nur eben im Miniaturformat. Monte Turrion Basso war einer dieser markanten Felsen.

Auf dem Campo di Flavona entstanden viele Fotos – zu Recht, wie ich finde. Die Landschaft war wild, einsam, eindrucksvoll und hatte einen ganz eigenen Charakter.

Nach langem Schieben erreichte ich eine Weggabelung, an der der Weg 301 vom Passo del Grostè auf meinen Weg 371 trifft. Von hier aus war es nicht mehr weit bis zum Passo della Gaiarda. Wanderer oder andere Biker sah ich auf der gesamten Strecke keine – dafür jede Menge Kuhfladen. Der Pass selbst war unspektakulär - ein großer Stein im Geröllfeld. Die Abfahrt nach Andalo war mit Farbe aufgepinselt worden.

Hinter dem Passo Gaiarda ging es auf dem Weg 301 weiter bis zur Malga Spora. Der offizielle Trail verläuft links am Hang entlang über riesige Geröllfelder – völlig unfahrbar. Erst später bemerkte ich, dass unterhalb ein paralleler Weg verläuft, der deutlich besser geeignet scheint. Nachdem man das Geröll hinter sich lässt, kann man kurz in den Sattel steigen, ehe ein ausgewaschener, steiler und technisch höchst anspruchsvoller Weg beginnt. Enge Kehren, lose Steine, Felsen – selbst Schieben war hier eine Herausforderung. Mountainbiken? Keine Chance. Von hier aus hatte man schon einen guten Ausblick auf die Malga Spora.

An der Malga Spora gönnte ich mir ein wohlverdientes Erfrischungsgetränk und zog Bilanz: Gelegenheit zum Fahren hatte es bisher kaum gegeben – selbst bergab war meist Schieben oder Tragen angesagt. Ich warf einen Blick auf den nächsten geplanten Übergang, den Passo del Clamer, der direkt von der Malga aus sichtbar ist. Nach etwa zehn Sekunden war mir klar: Nein, den tue ich mir heute nicht mehr an. Angesichts meiner bisherigen Brenta-Erfahrungen war zu erwarten, dass auch hier bergauf getragen und bergab geschoben werden musste. Die Lust auf solche Aktionen war mir gründlich vergangen. Also änderte ich – mal wieder – meinen Plan und beschloss, direkt nach Andalo abzufahren und Molveno anschließend über die Straße zu erreichen.

Von der Malga Spora führt der Weg 301 abwärts in Richtung Andalo. Irgendwann teilt sich der Pfad – rechts weiter auf dem 301, links auf dem 302. Ich hielt mich – vermeintlich schlau – an meine GPS-Planung und folgte dem 301. Bis zur Fontana Fredda war alles bestens: ein anspruchsvoller, spaßiger S3-Trail mit reichlich Flow. Am Brunnen angekommen, nutzte ich die Gelegenheit, um mein Rad gründlich zu reinigen – es war über und über mit klebrigem, stinkendem Kuhfladen bedeckt. Bereits oben auf dem Campo di Flavona, aber besonders unterhalb der Malga Spora, war ich zwangsläufig durch unzählige Fladen gefahren. Der Brei hatte sich überall festgesetzt: am Sattelrohr, am Unterrohr, dem Schaltwerk, dem Hinterbau – eine einzige Schweinerei.

Als die Drecksarbeit im wahrsten Sinne des Wortes erledigt war, stieg ich wieder auf. Doch kurz nach der Fontana Fredda war es vorbei mit dem Fahren. Der Pfad wurde schmaler, steiler und zunehmend ausgesetzt. Immer wieder musste ich schieben oder sogar tragen, teilweise war der Weg mit Seilen gesichert. Spätestens jetzt wurde klar: Der 302 wäre definitiv die bessere Wahl gewesen.

Irgendwann mündete der Pfad in eine breite Forststraße, die hinunter zum offiziellen Brenta Bike Trail führt. Bei der langen Abfahrt musste ich mehrere Pausen einlegen, um die Bremsen nicht zu überhitzen. Unten angekommen, hatte ich den Nationalpark endgültig hinter mir gelassen. Bis Andalo radelte ich bequem auf dem Brenta Bike Trail, dann weiter auf der Landstraße, stetig bergab, bis Molveno.
Molveno erwies sich als überaus beliebter Ferienort. Es war die Woche um Ferragosto, und dementsprechend war der Ort vollgestopft mit Autos, Bussen, Motorrädern und italienischen Touristen. Schon beim ersten Blick war mir klar, dass die Zimmersuche hier zwecklos wäre – aber das störte mich wenig. Nach der Brenta-Querung stimmten endlich auch die Temperaturen: sommerlich, warm, angenehm. Und da es erst 14 Uhr war, hatte ich noch reichlich Zeit für ein ausgiebiges Mittagessen und einen erholsamen Nachmittag am See.

Die Anspannung der letzten Tage fiel langsam ab – ich spürte, wie sich eine wohlige Gelassenheit in mir ausbreitete. Und genauso verliefen auch Mahlzeit und Strandaufenthalt: entspannt, genussvoll, friedlich.

Nach der verdienten Pause fuhr ich noch ein Stück am Westufer des Sees entlang und schlug mich irgendwo in die Büsche. Eingewickelt in meinen Schlafsack fiel ich bei zunehmender Dämmerung bald ins Reich der Träume...
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