Alpencross zu Fuß 2014 - Tag 1
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Oberstdorf - Trettachtal - Kemptner Hütte
Länge: 14 km
Steigung: 1000 Hm
Der Sommer 2014 hatte offenbar vergessen, was seine Aufgabe war. Während viele meiner Mountainbike-Kollegen auf ihren Touren in dicken Wolken verschwanden oder ganz zu Hause blieben, zeigte sich auch meine Wetterapp nicht gerade von ihrer motivierenden Seite. “Für die Jahreszeit zu kalt” war der vielzitierte Kommentar der Meteorologen – eine Floskel, die spätestens im Juli mehr frustriert als tröstet. In den Hochlagen hatte es zum Monatsanfang sogar kräftig geschneit. Ich war gespannt, wie tief sich der Winter in den Juli gerettet hatte – und wie viel ich davon nun, zur Monatsmitte, noch abbekommen würde.
Was das Gepäck betraf, war alles bereit. Minimalistisch wie gewohnt, nur eben diesmal ohne Mountainbike. Stattdessen neue Wanderstiefel, eine leichte Trekkinghose, faltbare Stöcke – und das Sahnehäubchen: eine brandneue Regenjacke samt stylischer Regenhose. Zusätzlich ein Stoffhut mit Allwetter-Charme, Biwakausrüstung und natürlich meine Sony A6000 samt Zoomobjektiv für die fotografische Beweisführung. Alles zusammen verschwand erstaunlich elegant in meinem 20-Liter Ortlieb-Rucksack. Die Kamera baumelte griffbereit am Hüftgurt – wie immer bereit, die ersten epischen Nebelbilder zu machen.
Zeitlich war ich nicht ganz frei, sonst hätte ich angesichts der Wetterlage den Start vermutlich vertagt. Aber es half nichts – der Zug nach Oberstdorf war gebucht. In München schüttete es wie aus Kübeln, als ich einstieg, und das blieb auch so bis zum Ziel. Es war das meteorologische Äquivalent zum Satz: „Du willst los? Vergiss es.“

Doch dann – Überraschung! – gegen 14:30 Uhr in Oberstdorf lockerten die Wolken auf. Kein Regen. Ich nutzte die Gelegenheit, schob die Regenjacke zurück in den Rucksack und startete hoffnungsfroh mein Projekt: 160 Kilometer, rund 13.000 Höhenmeter, in acht Tagen – auf kaum bekannten, teils recht anspruchsvollen Pfaden, mit dem Ziel Meran. Nicht der klassische E5, sondern meine eigene Variante – einsamer, rauer, spannender.
Nach dem obligatorischen Fotostopp an der Skisprungschanze verließ ich den Ort auf einem angenehmen Weg ins Trettachtal. Das erste Ziel: Spielmannsau.

Während viele E5-Wanderer sich diesen Abschnitt per Taxi sparen, wollte ich konsequent sein – alle Schritte selbst machen. Keine halben Sachen. Vorbei ging es am leuchtend grünen Christlessee.

Bald darauf kam ich in Spielmannsau an, wo ich an einem Brunnen meine Wasservorräte auffüllte – und die nächste schwarze Wolkenwand begrüßte. Besonders im hinteren Trettachtal hing der Himmel bedrohlich tief. Meine Hoffnung auf einen trockenen Start war dahin.

Geplant war ursprünglich ein Abstecher hinauf zum Kreuzeck und weiter über den Grat zum Muttlerkopf – aber bei dieser Suppe da oben hätte ich genauso gut im Keller wandern können. Keine Sicht, nasse Steine, Blitzgefahr – keine Option. Stattdessen Plan B: Regensachen an und auf dem E5 weiter Richtung Kemptner Hütte.

Der Weg wurde schmaler, der Regen stärker. Anfangs war ich noch guter Dinge – ich hatte ja schließlich die neue Hightech-Regenjacke mit 5000 mm Wassersäule. Klingt solide. Dachte ich. Doch nach etwa 30 Minuten war mein Oberkörper so durchnässt, als hätte ich mit der Jacke unter der Dusche gestanden. Mein Vertrauen in die Firma Gonso war dahin. Immerhin hielt die Regenhose von Vaude, was sie versprach – untenrum blieb ich trocken.

Es war mittlerweile ein einziger Sturzbach von oben, von unten und von der Seite. Im Sperrbachtobel wurde der Weg schmal und rutschig. Der viele Regen der letzten Tage hatte hier bereits Teile des Pfades weggespült. Doch mit etwas Konzentration blieb der Pfad gerade noch sicher.

Hinter dem Tobel öffnete sich ein weiter grüner Kessel, durchzogen von Almwiesen – ein friedlicher Kontrast zum Getöse der Stunden davor. Der Regen ließ nach. Gegen 19:00 Uhr erreichte ich die Kemptner Hütte. Sie war – natürlich – proppenvoll. E5-Standard. Ich mag diese Massenunterkünfte eigentlich nicht besonders, aber heute war ich einfach nur froh, ein trockenes Lager zu bekommen. Ein Matratzenplatz im Großraumquartier – nicht gerade komfortabel, aber immerhin ohne Wasser von oben. Der erste Tag war überstanden.
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