Alpencross zu Fuß 2014 - Tag 3
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Simmshütte - Kälberlahnzugjoch - Hinterseejoch - Schnann
Länge: 10 km
Steigung: 800 Hm
Ein ordentliches Frühstück, ein paar letzte Blicke in die Karte, dann ging’s los. Draußen hing der Nebel tief und schwer über dem Hang, das Licht diffus, die Stimmung irgendwo zwischen „herbstlich mystisch“ und „bitte nicht schon wieder“. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass sich das Wetter endlich stabilisieren möge – heute stand eine Etappe an, für die Regen und Sichtweite unterhalb der Nasenspitze denkbar schlechte Begleiter wären.

Der Aufstieg zur Wetterspitze begann direkt hinter der Hütte – steil, alpin, ruppig. Ein paar Felsstufen, die sich Kletterstelle nannten, sorgten für ein bisschen Abwechslung. Die Sache war schnell erledigt, auch wenn mir das Kraxeln mit vollem Rucksack nie wirklich leichtfällt. Danach weiter bergauf durch eine zerfurchte Hochgebirgslandschaft, die in den besten Momenten großartig und in den schlechteren einfach nur steinig war.

Zwischen zwei Nebelbänken lugte dann endlich mein erstes Ziel hervor: das Kälberlahnzugjoch. Ein karger Übergang irgendwo jenseits der 2500 Meter, erreichbar über 500 Höhenmeter schweißtreibende Plackerei ab der Simms-Hütte. Unterwegs glotzte mich eine Gruppe Steinböcke an, als sei ich der, der sich hier verirrt hätte. Keine zehn Meter entfernt standen sie am Steilhang, völlig unbeeindruckt. Ich war dafür umso beeindruckter – vor allem von ihrem Gleichgewichtssinn.

Das Sulztal unter mir war inzwischen in watteweiche Nebelschwaden gehüllt, die sich langsam den Hang hochwälzten – wie Geister auf dem Weg zur Arbeit. Ich stieg weiter auf, das Licht wurde heller, die Sonne tastete sich stellenweise durch die Decke – keine Aussicht zwar, aber immerhin keine Dauerbrause von oben.

Am Abzweig zur Wetterspitze bog ich rechts zum Kälberlahnzugjoch ab, durchquerte ein Schneefeld, und stand bald darauf im Nichts mit Höhenangabe: über 2500 Meter, Joch erreicht, Aussicht null. Dafür Stille. Und Kälte.

Weiter ging’s – steiler Abstieg ins Kaisertal, zunächst durch felsiges Terrain, das vor Murmeltierpfeifen nur so vibrierte. Die Wegführung war ein Glücksspiel: Markierungen nur sporadisch, Beschilderung bestenfalls vage. Mein GPS wurde zum neuen besten Freund.

Unten gabelte sich der Weg. Rechts runter ins Kaisertal, links ein schmaler Pfad Richtung Klämmle – und damit zum Hinterseejoch, meinem eigentlichen Tagesziel. “Nur für Geübte” stand da wieder auf dem Schild. Na also. Willkommen zurück, Realität.

Der Pfad zog sich als schmaler Strich am Hang entlang – felsig, matschig, ausgesetzt, aber nichts, was mir Sorgen machte. Mitten im Nirgendwo tauchte dann der Name „Almajurjoch“ in meinem Kopf auf – hier, nur sechs Kilometer westlich, war ich 2011 mit dem Bike drüber. Andere Zeiten, andere Beine.

Etwa einen Kilometer vorm Klämmle wurde’s dann technisch: Ein steiler Hang mit loses Gestein, gefolgt von einem kurzen, aber fordernden Abkletterstück.

Dann endlich: das Klämmle. Ein 20–30 Meter hoher Klettersteig durch eine enge Rinne – nordseitig, schattig, feucht, mit ein paar Schneeresten gewürzt. Von unten sah’s abschreckend aus, aus der Nähe auch nicht viel besser. Immerhin gab’s alte Seilsicherungen – nicht vertrauenserweckend, aber besser als nix. Ich packte meine Stöcke weg, verstaute alles lose im Rucksack, und kletterte los. Fester Fels, gute Griffe, volle Konzentration. Fünfzehn Minuten später stand ich oben. Adrenalin: ja. Aussicht: wieder nein.

Jetzt zog sich der Weg gemächlich den Hang hinauf – ein paar müde Serpentinen, dann ein Geröllfeld, das vom Regen ordentlich zerfurcht worden war. Schließlich: das Hinterseejoch. 2480 Meter. Letzter Pass für heute. Und ein Blick hinunter auf den Vordersee, der da unten wie ein vergessenes Smaragdauge in der Landschaft lag.

Der See war still. Richtig still. Kein Wind, kein Vogel, kein Geräusch. Ich stand einfach da, sog diese Momentaufnahme ein, und dachte: genau dafür macht man das hier.

Der weitere Abstieg begann harmlos, doch bald stellte sich heraus, dass die Idylle trügerisch war. Starke Regenfälle hatten im Bereich des Schnanner Bachs ganze Arbeit geleistet – Muren, Hangrutsche, unterspülte Wegstücke. An manchen Stellen war der Pfad kaum mehr zu erahnen, an anderen notdürftig geflickt, aber noch lange nicht wirklich sicher. Ich fand’s spannend. Ein Wanderer ohne Bergerfahrung eher weniger.

In der Schnanner Klamm wurde der Weg wieder besser, sogar vorbildlich ausgebaut. Nach einem Tunnel folgte der Pfad weiter dem Bach – diesmal sicher, befestigt, zivilisiert. Unten angekommen fand ich schließlich das Warnschild für den beschädigten Weg. Danke, auch nicht mehr nötig.

Ich hatte genug. Das Wetter war wechselhaft, die Luft feucht, und mein Biwaksack schrie nicht gerade nach Einsatz. Ich quartierte mich im Stanztal in ein Zimmer ein. Dusche. Decke. Ruhe. Passt. Bis sich ein flaues Gefühl im Magen einstellte...
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