Alpencross 2015 - Tag 6
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Tiarno di Sopra - Monte Tremalzo - Passo Rochetta - Pregasina - Riva del Garda
Länge: 45 km
Steigung: 1500 Hm
Die letzte Etappe. Und wie so oft: bittersüß. Ich hatte hervorragend geschlafen, doch das Frühstück war, sagen wir, italienisch. Zucker, Weißbrot, ein Hauch Kaffee. Der Körper hätte nach Alpenkost verlangt, bekam aber Dolce-Vakuum. Egal – ich war wach, satt genug und voller Vorfreude auf das große Finale.
Kurz vor acht Uhr stand ich also unten am Tremalzo, dieser monumentalen Passstraße, die sich wie ein antiker Wurm durch den Fels windet. Wer hier allein hochkurbeln will, sollte entweder früh aufstehen oder eine mentale Immunisierung gegen Bike-Shuttles hinter sich haben. Es gibt kaum etwas Zermürbenderes, als wenn dir ein Sprinter mit kreischenden Enduristen im Schatten vorbeiballert, während du dich wie ein Schweißtröpfchen durch die Serpentinen presst.
Nach endloser Kletterei tauchte endlich das Rifugio Garda auf. Kurze Verschnaufpause, dann die letzten Meter hoch zum Tunnel – dem Portal in eine andere Welt. Und da lag er: der Gardasee. Wie so oft verschleiert vom feuchten Dunst, geheimnisvoll und träge. Oben traf ich eine Gruppe von Downhill-Bikern, denen ich mich anschloss.

Ich konnte trotz meines antiken Bikes zum Erstaunen der Gruppe recht gut mithalten. Dabei sind ein paar coole Fotos entstanden, die ich mit dem Selbstauslöser nie hinbekommen hätte.

Die Tremalzo-Route ist ein Downhill-Epos. Ein ganzer Roman aus Serpentinen, Schotter, Panoramen, Militärwegen, Karrenpfaden und Wurzelteppichen. Ich bin sie oft gefahren, aber noch nie mit einem radikal ungefederten Stahlross.

Der erste Teil – ein schnell abfallender Schotterweg mit Verdammungspotential – wollte mich gleich komplett durchrütteln. Mit schmerzverzerrtem Grinsen hielt ich den Lenker wie ein Rodeoreiter die Zügel, kämpfte mich zum Passo Nota, atmete durch.

Danach: Querung zum Passo Guil, dann weiter zum Rochetta. Der finale Trailabschnitt 422b/422 war eine steile, wurzelübersäte, inoffiziell verbotene Serpentinenorgie – und ich mittendrin mit Starrgabel, Cantilever und altmodischem Masochismus. Ich musste, durfte, wollte es durchziehen.

Unten in Pregasina angekommen, fühlte ich mich wie ein durchgekauter Kaubonbon. Meine Hände brannten, mein Rücken schrie – aber mein Herz jubelte. Ich hatte es geschafft. Und das Bike? Es hatte durchgehalten. Unglaublich.

Die letzten Meter auf der Via Ponale hinunter zum See waren fast kitschig. Der Lago lag unter mir, blauschimmernd, gesprenkelt mit Windsurfern. Als ich in Riva del Garda einrollte, verspürte ich dieses typisch erhebende Gefühl, diese Freude und Leichtigkeit, die ein jeder Alpencrosser erlebt, wenn er nach vielen Tagen Schweiß, Qualen und Strapazen sein Ziel erreicht. Es folgten das obligatorische Abschlussfoto am Hafen von Riva.

Und dann natürlich – wie es sich gehört – ein beherzter Sprung in voller Montur in die kühlen Fluten des Gardasees. Wenn das erfrischende Wasser deinen Körper umspült, Schweißkrusten und Staub abwäscht als hätte es sie nie gegeben, deinen von der finalen Abfahrt überhitzten Schädel runterkühlt und dich umschmeichelt wie die sanfte Hand einer Riva-Bikinischönheit, dann hast du es geschafft!

Dann bist du angekommen, fühlst dich unbesiegbar, wie ein Ritter der Berge, der nach seiner letzten Schlacht endlich nach Hause kommt, wie ein König, dem sein Reich zu Füßen liegt. Es breitet sich ein Glücksgefühl in dir aus, das nur noch ergänzt werden kann durch eine knusprige Pizza und einem italienischen Rotwein in irgendeinem Ristorante in der Altstadt, während du die abendliche Brise, die durch die schmalen Gassen bläst, auf deiner Haut spürst.

Mit etwas Glück konnte ich kurzfristig ein Zimmer für zwei Nächte in Torbole ergattern, wo ich mich erst einmal gründlich duschte und meine Ausrüstung grob reinigte.

Dann die besagte Pizza, die ich in besagter Gasse der Altstadt zusammen mit einem Viertel Rotwein genüsslich verspeiste. Bereits nach dem zweiten Schluck Wein war ich sternhagelblau und hatte ein grenzdebiles Dauergrinsen im Gesicht.

Zufällig fand am gleichen Abend das alljährliche Gardasee-Feuerwerk statt, das ich vorher noch nie erlebt hatte. Kann es einen besseren Abschluss geben? Es kann! Denn am nächsten Tag beschloss ich, mich noch einmal zum Tremalzo hochshutteln zu lassen und lernte dabei vier nette Biker(innen) kennen, mit denen ich noch einmal eine Menge Spaß auf der Abfahrt nach Riva hatte. An dieser Stelle herzliche Grüße an Franci, Tom, Caro und Wes! Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder am Lago zum Biken!!!

Was mir nun noch bevorstand war die Heimreise. Ich hatte mich schon wieder auf eine Bahn-Oddysee eingestellt, konnte jedoch kurzfristig noch einen frei gewordenen Platz im Bike-Shuttle nach München ergattern. Für 100 EUR wurde ich somit stressfrei direkt von Torbole zum Münchner Hauptbahnhof transportiert. Eine gelungene Transalp, die mich mehrmals an meine körperlichen und mentalen Grenzen gebracht hatte, ging zuende! Das waghalsige Experiment, mit einem steinalten Starrgabel-Bike die Alpen zu überqueren, war gelungen!
Abschließend bleiben noch ein paar Dinge anzumerken, die interessant oder wissenswert sind, oder einfach der Abschreckung dienen:
- Mein Tarp habe ich nur in der ersten Nacht gebraucht, weil das Wetter ungewöhnlich heiß und stabil war. Das ist normalerweise sonst nicht so.
- Auch meine Regenkleidung ist im Rucksack geblieben. Die Regenhose habe ich nicht gebraucht, die Regenjacke nur kurz als Schutz vor kaltem Wind. Dennoch sind dies wichtige Ausrüstungsgegenstände, die in keinem Alpencrossgepäck fehlen dürfen.
- Aufgrund des heißen Wetters habe ich 6 bis 8 Liter Wasser am Tag getrunken. Dabei werden viele Mineralstoffe aus dem Körper gespült. Ich vermute, dass das zu den Wadenkrämpfen am ersten Tag geführt hat. Besonders wenn man so viel schwitzt muss man dafür sorgen, tagsüber den Mineralstoffhaushalt auszugleichen.
- Das Fahrradschloss habe ich ebenfalls umsonst mitgeschleppt. Ich überlege mir, es beim nächsten Mal ganz zuhause zu lassen.
- Die Kamera Sony RX100 hat sich hervorragend bewährt. Top Bild- und gute Videoqualität bei kleinsten Abmessungen! Einzig ein Klapp-Display hat mir gefehlt, dadurch wurden Selbstauslöseraufnahmen etwas schwierig. Die RX100-II oder III würde dieses Manko beheben.
- Es ist sehr schwierig, auf Fotos oder Videos die Beschaffenheit von Trails realistisch darzustellen. Meistens sehen die Abfahrten viel leichter aus, als sie es tatsächlich sind. Man sollte die Schwierigkeit der Abfahrten nicht unterschätzen. Den meisten Mountainbikern würde ich diese Route nicht empfehlen.
- Ich konnte zeigen, dass man mit einem alten Starrgabel-Bike durchaus einen schweren Alpencross fahren kann. Ich würde aber weder empfehlen das nachzumachen, noch es selbst ein zweites mal tun. Es war sehr interessant und fordernd, aber ich musste auf fast allen Abfahrten ziemlich leiden, wo ich mit meinem Fully einfach nur Spaß gehabt hätte.
- Die Cantilever-Bremsbeläge haben sich erstaunlicherweise kaum abgenutzt. Scheibenbremsen verschleißen wesentlich schneller. Fährt man mit Scheibenbremsen, dürfen Ersatzbremsbeläge im Gepäck keinesfalls fehlen.
- Ich hatte auf der gesamten Tour wieder einmal keinerlei Panne, nicht einmal einen Platten. Das ist sehr erfreulich und zeigt wie wichtig es ist, mit einem gut gewarteten Bike auf die Reise zu gehen.
- Motorradfahrer sind mit Abstand die schlimmsten Lärmverschmutzer der Alpen. Mögen sie in der Hölle schmoren! Nunja... zumindest wünsche ich ihnen, dass sie den ganzen Herbst lang zuhause von diesen irren Laubbläsern terrorisiert werden! ;-)
DAS ORIGINAL VOR DEM UMBAU:
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