Alpencross 2017 - Tag 6
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San Lorenzo - Dasindo - Treni - Arco - Torbole
Länge: 37 km
Gesamtanstieg: 790 Hm
Gesamtabstieg: 1450 Hm
Letzter Akt. Etappe 6. Der große Vorhang sollte fallen – und das Rauschen des Gardasees unser Applaus sein. In der Nacht hatte es noch einmal ordentlich gewittert, ein Grollen, ein Prasseln, ein kleiner Abgesang auf die zurückliegenden Etappen. Im Trockenen und mit vollem Bauch (Croissants, Müsli, Käse... wir ließen uns richtig schmecken) rollten wir aus dem Hotelkeller und hinein in den dunstigen Morgen. Die Reifen glitten durch das neblige Guidicarie-Tal, unsere Flaschen füllten wir am Dorfbrunnen. Heute stand kein Lift, kein Bus, kein Shuttle auf dem Plan. Nur wir, die Beine, 800 Höhenmeter – und der letzte Trail.

Der Auftakt war wellig. Kleine Anstiege, flotte Abfahrten. Vor Andogno suchten wir einen Trail, den es laut Karte geben sollte. Doch statt einem Weg fanden wir Brombeersträucher, nasse Gräser und Dornen. Umplanen war angesagt – aber kein Problem. Nach kurzer Improvisation fanden wir wieder auf den Track zurück.

Wir waren fit, motiviert und guter Dinge und freuten uns schon sehr auf unser Ziel, den Gardasee! Doch vorher musste noch Einiges geleistet werden. Weder Seilbahn noch Bus würden uns heute unterstützen, wir mussten die 800 Höhenmeter aus eigener Kraft schaffen. Doch die Gesamtstrecke von nur 40 km war überschaubar, inzwischen war diese Distanz auch für meinen Jungen keine große Sache mehr.

Am Dos da Doa legten wir eine Pause ein. Im Schatten. Oder besser: unter einem Mückenschwarm. Nach zehn Stichen pro Arm brachen wir zähneknirschend wieder auf. Auf einem ruppigen Karrenweg ging’s hinunter nach Villa Banale.

Nach der Durchquerung des kleines Ortes wäre es laut meiner Planung eigentlich 2 km entlang der Straße nach Ponte Arche gegangen. Ich entdeckte aber eine Wegerl, das parallel dazu verlief und entschied mich spontan zu einer kleinen Routenänderung, um den Verkehr zu vermeiden. Die Entscheidung war goldrichtig gewesen, denn nun konnten wir auf einem ruhigen Forstweg ganz ohne Autos und Abgase bis nach Ponte Arche abrollen.

Ponte Arche lag wie ausgestorben in der Mittagshitze. Wir überquerten die Sarca und glitten durch Felder und Maismeere bis nach Dasindo – ein Ort wie aus einem Italowestern, nur mit hübscher Kirche und ohne Pistolen.

Hinter Dasindo bog unsere Route in das Val Lomasone ab. Die Straße im Val Lomasone ist flach und kaum befahren. Nur der Bauer der Malga Lomasone und Besucher des Klettergebiets fahren hier gelegentlich entlang. Uns begegnete kein einziges Auto. Kurz vor dem Klettergarten, der mehr als 80 gesicherte Routen unterschiedlicher Schwierigkeit vorzuweisen hat, endete der Asphalt und es ging auf Schotter in teils dschungelartigen Wäldern weiter.

Damit begann auch der letzte steile Anstieg unserer Transalp. Gejagt von Stechmücken schoben wir unsere Bikes durch den dichten Wald nach oben. Dieser Anstieg kostete noch einmal viel Kraft und dank der Massen an Moskitos auch einige Nerven. Ich hatte schon mit dieser Plage gerechnet, denn der dicht bewachsene Nordhang bietet ein ideales Nistgebiet für Stechviecher aller Art, ganz besonders nach den vielen Niederschlägen der vergangenen Tage. Ich hatte Fenistil zum Behandeln der Einstiche dabei, Autan wäre aber bestimmt auch eine gute Idee gewesen.

Am Prà della Vespana lichtete sich der Wald und wir mussten nur noch ein Stück weiter bis Treni, dann hatten wir es geschafft. Fast. Denn nach Treni mussten wir nochmal 100 Hm die Straße hoch, bis wir den höchsten Punkt dieser Etappe erreichten. Dort trafen wir eine Gruppe von netten Mountainbikern, mit denen wir uns kurz unterhielten. Auch sie wollten nach Arco abfahren, aber wohl auf einer anderen Route.

Wir dagegen hatten ein Experiment vor. Nach etwa 1,5 km Asphaltabfahrt zweigt links von der Straße ein schmaler Forstweg ab, von dem nach kurzer Zeit linkerhand ein unscheinbarer Pfad im Dickicht verschwindet. Kaum sichtbar, aber verheißungsvoll. Das war er: der Lanzola-Trail. Das ist kein offizieller Name, sondern meine persönliche Namensgebung. Den Trail hatte ich zuhause auf der Karte gefunden und dachte, vielleicht ließe sich der gut biken. Denn ganz sicher wollte ich die letzte Abfahrt nicht komplett auf Asphalt zurücklegen!

Es war ein Trailexperiment, und nach wenigen Metern stellte sich heraus, dass es geglückt war! Der Lanzola-Trail schlängelt sich über Fels- und Wurzelstufen teilweise recht steil durch den dichten Wald. Enduro-Biken vom Feinsten!

350 Höhenmeter purer Enduro-Flow, mit jeder Kurve wuchs das Grinsen. Eingewachsen, steinig, felsig, stufig, kurvig. So präsentierte sich uns der Waldtrail, der uns die Anstrengungen des Aufstiegs vergessen machte. Ein perfekter Abschluss unserer Transalp!

Irgendwann, unterhalb von Lanzola, spuckte uns ein kleines Betonsträßchen aus – und vor uns lag er: der Gardasee. Ganz still, ganz blau. Nach Tagen voller Schweiß und Staub endlich in Sichtweite. Emotion pur. Es ist jedesmal wieder ein gigantisches Gefühl, nach all den Tagen geprägt von Anstrengungen und harten Trails sein Ziel vor sich liegen zu sehen! Der See schien nun in greifbarer Nähe.

Die letzten Kilometer fuhren wir auf kleinen Straßen und Wegen talwärts. Dann – die erste und einzige Panne der Tour: Mein Sohn hatte sich einen Dorn eingefangen, knapp einen Zentimeter lang. Schlauch raus, Wechsel, Mini-Pumpe, weiter. Der kleine Weg wand sich weiter steil und bremsbelagvernichtend hinunter bis Arco.

In Arco rollten wir durch Olivenhaine. Hier bot sich uns ein toller Blick auf die Ruinen der mittelalterlichen Burg Arco. Diese war vor langer Zeit der Mittelpunkt von Streitigkeiten zwischen Parteien aus Verona, Tirol, Frankreich, Bayern und Mailand gewesen. 1495 erstellte sogar Albrecht Dürer ein Gemälde der Stadt mitsamt noch intakter Burg.

Wir durchquerten den Ort, folgten der Sarca, nahmen den Radweg nach Torbole. Mein Sohn fuhr vorne, ich gab von hinten Navigationshilfe. So hatten wir es oft gehandhabt. Nicht aus strategischen Gründen – sondern weil es einfach Sinn machte. Tempo nach vorne, Orientierung nach hinten.
Kurz vor 15:00 Uhr erreichten wir verschwitzt das nördliche Seeufer. Wir hatten es geschafft! Wir schlängelten uns an der Uferpromenade durch die Touristen, Badegäste, Mountainbiker und Urlauber, bis wir in Torbole an einem passenden Spot am Strand Halt machten.

Mein junger Begleiter ließ erst einmal alles auf sich wirken. Das Rauschen der Wellen, die Sonne, der frische Wind, die Palmen, die umliegenden hohen Berge. Trotz der vielen Touristen im August ist das einer der besten Orte, um eine Transalp abzuschließen!

Dann hielt es uns nicht länger und wir stürzten uns in die kühlen Fluten. Erster Tauchgang. Letzter Downhill. Was für ein Gefühl!

Nachdem wir eine zeitlang die Surfer beobachtet hatten und wir zwischenzeitlich von der Sonne getrocknet wurden, bezogen wir unser Quartier, duschten noch einmal und machten uns dann auf zur besten Pizzeria in Torbole. Wir genossen die knusprigen herrlichen Riesenteile, die nicht einmal auf die großen Teller passten. Danach gönnten wir uns noch ein Eis und einen Abendspaziergang am See.

Zwei Tage blieben uns noch am Lago. Die nutzen wir. Am ersten Tag brachte uns Luca mit dem Shuttle zum Tremalzo. Der Klassiker. Holperige Militärstraßen, rasante Downhills, Fels, Staub, Kurven – alles dabei. Am Ende die Bachbett-Variante zur Malga Palaer: anspruchsvoll, wild, perfekt für meinen kleinen Freerider.
Am zweiten Tag nahmen wir uns den Sentiero 601 vor. Durch den nächtlichen Regen war’s für mich eine Rutschpartie. Meine abgefahrenen Reifen waren fehl am Platz. Mein Sohn dagegen fuhr fast alles. Die Continental Trail Kings griffen wie Spikes. Ich stieg mehrfach ab. Er blieb oben. Ich hatte Mühe. Er hatte Flow.

Rückreise? Überraschend easy. In Rovereto trafen wir am Bahnhof noch ein Vater-Tochter-Team aus München – ebenfalls Transalp, aber mit Zelt und Anhänger. Leider war kaum Zeit für Gespräche, denn sie mussten mit dem Regio über den Brenner. Aber falls ihr das hier je lest: viele Grüße! Ihr wart cool!

Die Highlights des letzten Reisetags:
- Der Lanzola-Trail: eng, technisch, ein würdiger Schlusspunkt.
- Der Moment am See: Wasser auf Haut, Sonne auf Stirn – Transalp-Ziel erreicht.
- Die Pizzeria Al Porto: Unvergesslich. Nicht mal der Teller konnte mit der Pizzagröße mithalten.
Fazit:
„Es war anstrengend, aber es hat Spaß gemacht und sich gelohnt.“ So das Urteil meines Sohnes. Und besser könnte man’s nicht sagen.
Wir haben gelacht, geschwitzt, geschoben, gefahren, gegessen, gestrampelt und geflucht. Und alles davon war gut. Die Route? Ideal. Die Planung? Ging auf. Das Wetter? Meistens mitgespielt. Die Seilbahnen? Gold wert. Und die Downhills? Besser als jede Achterbahn.
Wir haben gelernt, dass Regenpausen Chancen sind. Dass Pläne flexibel sein müssen. Dass Autan im Gepäck nicht schadet. Und dass man mit zwei Rucksäcken, sieben Kilogramm Gepäck und funktionierender Technik auch ohne große Pannen durch die Alpen kommt.
Das Ganze kostete uns rund 1000 Euro. Aber was wir dafür bekommen haben, lässt sich in Geld nicht messen. Erinnerungen, Erfahrungen, Vater-Sohn-Zeit – und das feste Gefühl: Das war nicht das letzte Mal.
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