Alpencross 2013 - Tag 1
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Salzburg - Berchtesgaden - Torrener Joch
Länge: 40 km
Steigung: 1400 Hm
Das Jahr 2013 hatte in den Alpen lange Winterfinger – selbst Ende Juni lag auf vielen Pässen oberhalb von 2000 Metern noch ein halber bis ein ganzer Meter Schnee. Einige Alpencrosser, die ich bei einem Kurztrip an den Gardasee getroffen hatte, mussten ihre Tour Mitte Juni abbrechen. Auf dem Monte Altissimo lag selbst Ende Juni noch eine dünne Schneedecke. Anfang Juli aber endlich ein Lichtblick: Die Temperaturen kletterten langsam in den Bereich, den man gemeinhin als „sommerlich“ bezeichnet, und auch die Wetterprognosen sahen auf einmal stabil und sonnig aus. Ich beschloss kurzerhand, meinen Tourstart um zwei Tage vorzuziehen – losgehen sollte es am 7. Juli.
Anders als in den Jahren zuvor, in denen mein gepackter Rucksack Tage vor Abreise schon im Flur stand und mich stumm auf die Tour einstimmte, lief diesmal alles ein wenig hektischer. Erst am Vorabend kramte ich das Equipment zusammen, verstaute es routiniert – Schlafsack, Isomatte, Tarp, Kocher, Werkzeug, die übliche Minimal-Ausrüstung. Ein neues Garmin eTrex Navi kam mit, ebenso mit der Sony NEX-6 eine frische Kamera, die GoPro Hero 3 und zusätzlich ein aufgefrischtes Erste-Hilfe-Set. Premiere: Diesmal auch Ersatzspeichen dabei – nach all den Jahren, in denen ich sie empfohlen, aber nie selbst mitgeführt hatte.

Am Sonntagmorgen stopfte ich das alles in meinen Ortlieb-Rucksack – schwer wie immer, aber durchdacht gepackt: Campingkram nach unten, Müsliriegel griffbereit oben, dazu zwei Liter Wasser und eine Brotzeit für unterwegs. Dann aufs Rad und ab zum Münchner Hauptbahnhof – wie immer mit dem Gefühl, irgendwas vergessen zu haben.

Doch noch bevor die Tour überhaupt richtig losging, der erste Dämpfer: Kaum eine Stunde nach Abfahrt im Regionalzug Richtung Salzburg ertönte die Durchsage: Bombenfund bei Rosenheim – Streckensperrung. Der Zug endet in Rosenheim. Ich sah mich schon die 70 Kilometer bis Salzburg per Bike zurücklegen. Doch es kam anders: Ersatzbusse wurden organisiert, und nach kurzem Widerstand durch den Busfahrer konnte sogar mein sperriges Rad mit. In Prien ging’s dann per Anschlusszug weiter – mit zwei Stunden Verspätung, aber immerhin in Salzburg.

Von dort wollte ich größtenteils dem Mozartradweg bis Berchtesgaden folgen. Danach stand der Anstieg Richtung Jenner an, vorbei an Hubsis Enzianbrennerei, über das Torrener Joch und hinunter nach Golling. Anschließend durchs Salzachtal bis St. Johann im Pongau. So jedenfalls der Plan – aber wie so oft sollte es anders kommen…

Für den Start einer Transalp war Salzburg keine schlechte Wahl. Ich hatte mir eine Route durch die Altstadt zurechtgelegt, die möglichst viele Sehenswürdigkeiten streifte – vorbei an der Marstallschwemme, durch die Hofstallgasse, deren goldgelber Asphalt aus dem Jahr 2006 längst verblasst ist, über den Residenzplatz zum Mozartplatz.

Am Mozartplatz startete just an diesem Tag das Red Bull X-Alps Rennen. Ein Paraglider-Wettkampf von Salzburg nach Monaco, zu Fuß und per Gleitschirm – der Mozartplatz war voller Zuschauer, Kamerateams, Red-Bull-Fahnen und GoPro-Ständen. Ein schöner Auftakt für meine eigene, wenn auch deutlich bodenständigere Reise.

Mit der Festung Hohensalzburg im Rücken ging’s auf dem Mozartradweg südwärts. Das Wetter war perfekt, warm und sonnig, meine Stimmung entsprechend euphorisch. Ab Sankt Leonhard verlief der Radweg bergauf entlang der Berchtesgadener Straße. Zunächst auf einem separaten Radweg, später auf einem markierten Seitenstreifen.

In Marktschellenberg bog ich auf eine kaum befahrene Nebenstraße ab, die bald in einen geschotterten Weg entlang der Berchtesgadener Ache überging. Die Unwetter der letzten Wochen hatten hier deutliche Spuren hinterlassen – beschädigter Weg, Wasserläufe quer über die Strecke. Stellenweise musste ich absteigen und schieben, aber insgesamt kam ich gut durch. Kurz darauf radelte ich am Salzbergwerk vorbei – ein Ausflugsziel, das vermutlich jedes südbayerische Schulkind schon einmal gesehen hat.

In Berchtesgaden ging es richtig zur Sache: Eine steile Straße trieb mich 600 Höhenmeter hinauf zum Parkplatz Hinterbrand. Die schwüle Luft, 25 bis 30 Grad und eine hohe Luftfeuchtigkeit sorgten für tropenähnliche Zustände. Ich war klatschnass, als ich schließlich auf den Forstweg einbog, der zur Mittelstation der Jenner-Seilbahn führt. An einer Wegegabelung hätte ich links zur Mitterkaseralm und auf den Jenner fahren können. Mein Weg führte jedoch nach rechts – oder hätte zumindest dort verlaufen sollen. Ein großes Fahrradverbotsschild verhinderte das. Ärgerlich, denn gerade heute – bei strahlendem Wetter und dank der Seilbahn – tummelten sich dort oben Heerscharen von Wanderern. Da es keine sinnvolle Alternative gab, ignorierte ich das Schild. Ich fuhr vorsichtig weiter auf dem Königsweg – immer bereit, bei Gegenverkehr abzusteigen. Ein Signal, dass ich das Verbot prinzipiell respektierte. Es beschwerte sich niemand.

An Hubsis Enzianbrennerei vorbei durfte ich dann wieder ganz legal weiter – doch von „Fahren“ konnte kaum mehr die Rede sein. Der Weg zur Schneibsteinalm wurde so steil, dass ich das Bike meist schieben musste. Zwischen Schweiß und Walddunst bemerkte ich das aufziehende Unheil erst spät: Ein paar Regentropfen, dann Grollen in der Ferne. Gewitter! Als ich die Königsbergalm auf 1530 m passiert hatte, wurde es ernst. Ein greller Blitz, ein unmittelbar folgender Donnerschlag – höchste Zeit, Deckung zu suchen!

Im Eiltempo schob ich mein Rad zur nahen Schneibsteinalm. Die Hütte erreichte ich klatschnass, aber heil. Es war 17:00 Uhr – an eine Überquerung des nur 100 Hm entfernten Torrener Joches war bei diesem Wetter nicht mehr zu denken. Also nahm ich mir ein Zimmer.

Ein Zimmer mit Stockbett für mich allein versprach eine ruhige und erholsame Nacht. Hier konnte ich mich erst einmal duschen, sortieren und die Karten studieren.

Der Abend auf der Hütte war ein Geschenk. Bei Schnitzel mit Bratkartoffeln, ein paar Wanderern und einer Gruppe einheimischer Berchtesgadener kam urige Stimmung auf. Einer der Männer zog irgendwann eine Instrumententasche aus dem Rucksack – darin: Maultrommel, ein paar Flöten und ein Fotzenhobel (Mundharmonika). Was folgte, war ein kleines Konzert – nicht ganz taktvoll vielleicht, aber mit umso mehr Herz. Als er schließlich auf zwei Flöten gleichzeitig spielte – durch die Nase! – konnte sich niemand mehr halten vor Lachen.

So endete die erste Etappe mit einem Blitz, einem Lächeln – und dem Gefühl: Es war die richtige Entscheidung, wieder loszuziehen.
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