Alpencross 2013 - Tag 2
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Torrener Joch - St. Johann - Großarl - Tofernscharte - Bad Gastein
Länge: 75 km
Steigung: 1900 Hm
Nach meinen traumatischen Erlebnissen in diversen Matratzenlagern hatte ich mir diesmal den Luxus eines eigenen Zimmers gegönnt – gegen Aufpreis zwar, aber jeden Cent wert. Entsprechend erholsam war die Nacht. Schon am ersten Tag meiner Alpenüberquerung schwelgte ich in Komfort! Auch das Frühstück konnte sich für Hüttenniveau durchaus sehen lassen. Dass ich am Vortag mein Etappenziel nicht erreicht hatte, war mir herzlich egal – ich hatte ja genug Zeit. Für heute stand die Abfahrt nach Golling auf dem Plan, gefolgt von einem recht langen Talstück vorbei an Werfen, Bischofshofen und St. Johann im Pongau. Von dort sollte es dann hinauf nach Großarl gehen – und wenn’s gut lief, noch über die Tofernscharte. Ob das klappen würde, wusste ich nicht – Prognosen wollte ich lieber keine wagen.
Früh am Morgen, gut ausgeschlafen, machte ich mich auf den Weg und stieg die letzten Höhenmeter von der Schneibsteinalm zum Torrener Joch hinauf. Das Wetter: bombastisch! Oben thront das Carl-von-Stahl-Haus, eine Hütte des Alpenvereins. Dort hätte ich als DAV-Mitglied zwar günstiger übernachten können – aber sicherlich nicht so einen lustigen Abend erlebt wie gestern.

Einmal mehr musste ich über eines der vielen Bikeverbotsschilder schmunzeln, die in den deutschen und österreichischen Alpen gefühlt wie Pilze aus dem Boden schießen. Einerseits pflastert man die Berge mit Liften, Schneekanonen und Funparks zu, fährt Millionen Touristen mit irrsinnigem Energieaufwand schweißfrei auf jeden Gipfel – andererseits regt man sich über eine Handvoll Mountainbiker auf, die sich ihre Höhenmeter mit viel Schweiß und Mühe ehrlich erarbeiten. Doppelmoral, wie sie im Buche steht. Natürlich gibt es schwarze Schafe, keine Frage – aber wer aus eigener Kraft bis hier hochkommt, bringt in der Regel ein anderes Natur- und Verantwortungsbewusstsein mit als der Selfie-Tourist mit Flipflops.

Da ich früh dran war, war der Wanderweg menschenleer. Ich ignorierte das Schild – natürlich nur aus Versehen – und genoss den großartigen, technischen Trail mit Felsstufen, engen Kehren und flowigen Abschnitten. Für erfahrene Biker fast durchgehend fahrbar – theoretisch. Ab der Unteren Jochalm endet das Bikeverbot sowieso, weil hier die schnöde Forststraße beginnt.

Ich bog lieber gleich auf den Arnoweg ab, der parallel durch den Wald ins Tal führt. Anfangs ein Traum: abwechslungsreich, wurzelig, felsig – echtes Bikevergnügen. Doch in der zweiten Hälfte wurde der Pfad zunehmend steil und geröllig, teilweise ausgewaschen – ab da war größtenteils Schieben angesagt. Kurz vor der Forststraße musste noch ein Bach gequert werden – die einstige Brücke hatte wohl eine Überschwemmung dahin gerafft.

Das letzte Stück durchs Bluntautal war zwar technisch unspektakulär, aber landschaftlich ein Gedicht: Der Torrener Bach schlängelt sich wildromantisch durch den Wald, während die Morgensonne durch das Laub tanzt.

In Golling kann man der Bundesstraße noch bis zum Zementwerk ausweichen, ab da bleibt einem nichts anderes übrig, als rund 15 Kilometer Straße bis Werfen zu schlucken. Keine schöne Strecke – Verkehr, Lärm, Gestank. Ab Werfen wird’s besser: Der Tauernradweg wechselt auf die andere Salzachseite und führt fast idyllisch über Bischofshofen bis St. Johann im Pongau.

In Werfen wechselte ich die Speicherkarte meiner Kamera – eine gute Entscheidung, dachte ich damals. Leider quittierte genau diese Karte kurz nach der Tofernscharte ihren Dienst, womit sämtliche Fotos und Videos von dort futsch waren. Besonders bitter, weil die Eindrücke von der Tofernscharte eigentlich das Highlight des Tages gewesen wären. Der Anstieg über Großarl und Hüttschlag hingegen war fotografisch kein großer Verlust – Asphalt zieht bei mir selten den Auslöser.
Nun wartete die Tofernscharte. Zeitlich war ich gut unterwegs – vielleicht würde ich es heute noch schaffen, wenn der Anstieg sich in Grenzen hielt und die Abfahrt fahrbar wäre. Vielleicht würde ich sogar auf der Poserhöhe übernachten.
Bei Hüttschlag zieht sich eine Forststraße hoch bis zur Harbachalm. Danach geht’s steil zur Sache: Der Weg verwandelt sich in einen schmalen Pfad, den man über etwa 400 Höhenmeter schieben – und stellenweise tragen – muss. Die feuchtwarme Schwüle machte den Aufstieg zur echten Schinderei. Die Abfahrt zur Poserhöhe beginnt leider mit einem fahrtechnisch anspruchsvollen Abschnitt, der nur teilweise fahrbar ist. Doch danach folgt ein echtes Trail-Highlight: Der Pfad schlängelt sich griffig und spaßig durchs Gelände – ein Genuss! Inzwischen zogen aus Nordwesten dunkle Gewitterwolken auf, und ich machte mich besser schnell an den finalen Abstieg ins Kötschachtal.
Der beginnt vielversprechend, wird dann aber zusehends alpiner: ein ausgesetzter Pfad, teils mit Stahlseilen gesichert, der sich in engen Kehren ins Tal windet. Fahren war hier kaum mehr drin – Schieben und Tragen war angesagt. Zum Glück ging’s abwärts und ich kam zügig voran – in Gegenrichtung wäre das eine Tortur gewesen.

Unten angekommen blieb mir noch Zeit für einen Abstecher nach Bad Gastein. Doch schon beim Anblick des Ortes wurde mir klar: Das hier war kein Ort für schwitzende, stinkende Biker auf Herbergssuche. Also wieder zurück ins Kötschachtal.

Kaum hatte ich mich an einem Gebirgsbach niedergelassen, um die Szenerie zu genießen und ein wenig Dörrfleisch zu kauen, kündigte sich das Gewitter an. Erst ein paar Tropfen, dann – innerhalb einer Minute – prasselnder Regen und grollender Donner.

Zum Glück hatte ich die wichtigsten Klamotten im Rucksack verstaut, um für die Nacht etwas Trockenes zu haben. Das Wetter war mild, also errichtete ich nur leicht bekleidet mein Notbiwak. Bei solch einem Platzregen ein Tarp so aufzuspannen, dass Isomatte und Schlafsack trocken bleiben, ist eine kleine Kunst – aber es klappte. Es war ohnehin spät geworden, also schlüpfte ich zügig in den Schlafsack. Während draußen der Regen auf das Tarp trommelte, war ich schon längst eingeschlafen.
(Das letzte Beweisfoto stammt übrigens von der wasserdichten GoPro.)