Alpencross 2013 - Tag 6
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Ratece - Slemenova Spica - Kranjiska Gora - Vrsic - Soca-Tal
Länge: 65 km
Steigung: 2250 Hm
Quizfrage des Tages: Stechen Moskitos eigentlich auch in Nasenlöcher und Augenwinkel? Antwort: Oh ja, das tun sie! Und zwar mit einer Begeisterung, als gäbe es dafür eine Prämie. Der Schlafplatz war auf dem Papier ein Traum – ruhig, abgelegen, lauschig. In der Realität aber: ein All-you-can-eat-Buffet für geflügelte Vampirwesen. Die Nacht war unerträglich warm, der Schlafsack entwickelte sich langsam zum Dampfbad, und irgendwann war klar: raus da. Leider warteten draußen schon ein paar Milliarden blutrünstige Minidämonen auf meinen Fehler. Nase und Augenbraue – die einzigen Körperteile, die meine Moskito-Netz-Kokon verließen – sahen bald aus wie von der Pubertät zurückgeholt. Und als ich gegen zwei Uhr morgens endgültig kapitulierte und mir den Schlafsack vom Leib riss, war’s, als hätte ich ein blinkendes „Buffet eröffnet“-Schild aufgestellt. Sie haben nicht gezögert.
Aber damit nicht genug: Irgendwann gesellten sich auch noch ein paar Wildschweine zur Party. Direkt neben meinem Zelt begann ein nächtliches Schnauben, Grunzen und Herumgestapfe, als ob sie sich überlegten, mein Bike zu marinieren. Zu diesem Zeitpunkt war mir allerdings schon alles egal. Sollten sie’s doch anknabbern, mir war nur noch nach Schlaf.
Um fünf Uhr früh, halb zerstochen und vollends erledigt, schälte ich mich aus dem Zelt und hievte mein zermartertes Selbst aufs Bike. Immerhin: Die Ausrüstung war unversehrt, die Wildschweine offensichtlich Feinschmecker. Ich rollte über die Grenze nach Slowenien, legte irgendwo bei Fusine eine Müsliriegelpause ein und stellte fest: Hier ist alles ein bisschen anders. Nicht besser, nicht schlechter – einfach… slowenischer.

Weiter nach Kranjska Gora, wo ich den offiziellen Radweg verließ und mich Richtung Julische Alpen verabschiedete. Ziel: zwei einsame Pässe im Triglav-Nationalpark. Schon nach ein paar Kilometern erreichte ich Planica – und was sah ich dort? Einen Berg, der gerade rücksichtslos für den Bau von drei Skisprungschanzen abgetragen wurde. Planica will sich für die Nordische Ski-WM 2019 bewerben. Da ist Natur natürlich zweitrangig. Umso absurder das Schild weiter oben im Tamar-Tal: „Campen und Hunde verboten!“ – aber Berge wegsprengen für ein paar Sekunden Airtime, das ist schon okay.

Ein paar Kehren weiter stand ich plötzlich allein im Talschluss. Umgeben von senkrechten Felswänden, keine Menschenseele in Sicht, nur ich, mein Bike – und die bange Frage: Wie bitte soll ich da hochkommen? Laut Karte und Schild sollte es hier irgendwie zur Slemenova Špica gehen. Na dann los.

Der Weg wurde steil, felsig, später zum Geröllfeld. Also Rad geschultert und auf allen vieren rauf. Bald tauchte vor mir ein steiles Schneefeld auf – gefroren, 200 Meter lang, an die 45 Grad steil. Ein Rutschen hier würde nicht mit einer sanften Landung enden, sondern frühestens am nächsten Felsvorsprung. Und ich hatte das Rad auf dem Rücken. Also: Abbruch. Umkehren. Runter. Safety first.

Die Abfahrt zurück nach Kranjska Gora war flott, dort gab’s dann typische slowenische Cevapčiči mit Gemüsereis und ein kühles Radler. Himmel, tat das gut! Dermaßen durchgenudelt war ich selten – und es war erst Mittag.

Um weiter in den Triglav zu kommen, blieb nur der Vršič-Pass (ausgesprochen „Frschitsch“) – der einzige halbwegs direkte Weg. Also weiter auf dem Radweg durch das Tal entlang der Pršnica und dann rein in die Serpentinen. Leider auch rein in den Verkehr: Motorräder, Autos, hupende Jeeps voller gröhlender Touristen. Wer vorher kein Problem mit Motorradfahrern hatte, entwickelt hier ganz schnell eins. Die Steigung, kombiniert mit dem Gehupe, dem Lärm und dem Dieselduft, war einfach brutal. Kopfsteinpflaster in den Kehren – ein romantischer Gedanke, bis man sieht, wie Rennradfahrer dort ihre Felgen verfluchen. Zwei Mal sah ich Platten-Opfer am Straßenrand. Ich selbst fühlte mich nach 800 Höhenmetern wie ein durchgeweichter Feinstaubfilter. Oben auf 1600 Metern wurde ich aber entschädigt: Der Blick ins Soča-Tal war atemberaubend. Und genau dort wollte ich hin – aber bitte nicht auf der Straße mit den rücksichtslosen Kurvenrasern.

Also suchte ich mir einen versteckten Wanderpfad. Gefunden! Etwa 700 m nach dem Gipfel zweigt ein schmaler versteckter Pfad ab, der unter der Straße entlangführte, erst flowig, dann technisch fordernd, aber wunderschön. Ungefähr 600 Hm kann man auf diesem Trail bergab genießen, der unten am Soška Pot Traileinstieg endet.

Dort traf ich auf eine Asphaltstraße, die auf der Passstraße mündete, die ich oben verlassen hatte. Leider war Biken auf dem offiziellen Soča-Wanderweg (natürlich) verboten. Sonntag, viele Leute, keine Lust auf Ärger – also brav auf der Straße weiter. Aufgrund der vielen Verbotsschilder wäre ich schon fast geneigt, die Gegend das "Tal der Verbote" zu nennen.

Die Soča selbst ist spektakulär: türkis, wild, rauschend. Aber leider: total überlaufen. Autos, Motorräder, Menschenmassen überall. Vom „ursprünglichen Tal“ bleibt da nicht viel übrig. Der Radweg entlang der Soča ist komplett gesperrt – und teilweise auch einfach zu schlecht erhalten. Der Regen hatte ihm übel mitgespielt. Das heißt, ich musste die Fahrt weiterhin auf der Straße fortsetzen.

Nachdem ich 12 km die Straße bergab gefahren war, erreichte ich den kleinen Ort Soča. Hier gab es wieder eine Brücke an das andere Ufer und ich nahm den Kiesweg, der deutlich angenehmer zu fahren war, als die Straße. Ich fragte mich an der Stelle, ob ich die ganzen Bike-Verbote nicht hätte ignorieren sollen.

An einer Stelle durchquert der Fluss eine schmale Schlucht – ein Hotspot für Kajakfahrer. Dort hab ich’s wieder gewagt: ein Stück des gesperrten Weges. Kein Mensch da – und es hat sich gelohnt. Leider war bei Kamp Klin Schluss. Ich wollte eigentlich auf den Krn, aber Biken verboten, viele Wanderer unterwegs, Ranger streng – also keine Chance.

Nach weiteren 2 km Straße überquerte ich den Fluss abermals und landete auf Forstwegen, die ich nochmal 12 km genießen kommte. Ungefähr auf der Höhe von Log Čezsoški, wo die Soča eine Biegung nach Südosten macht, war’s wieder so weit: in Ufernähe den Schlafsack auspacken, sich dem Stechmücken-Schicksal zu ergeben, Augen zu und hoffen, dass es diesmal keine Wildschweine gibt.
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